Wenn im Hund der Wurm ist
Warum Insektenprotein kein Fortschritt sein muss
Insektenprotein im Hundefutter wird gern als ökologischer Heilsbringer vermarktet: nachhaltig, hypoallergen, innovativ.
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Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass der Trend weniger mit tierischer Notwendigkeit zu tun hat als mit menschlicher Marketinglogik.
Denn was als „neu“ verkauft wird, ist für viele Hunde schlicht Alltag – und für sensible Tiere nicht automatisch geeignet.
Was krabbelt da wirklich im Napf? – Zusammensetzung und Deklarationsfallen
Insektenproteinbasiertes Hundefutter besteht meist aus gemahlenen Larven der Schwarzen Soldatenfliege (Hermetia illucens) oder Mehlwürmern (Tenebrio molitor).
Diese werden industriell gezüchtet, getrocknet und zu Proteinmehl verarbeitet. Ergänzt wird das Ganze durch pflanzliche Komponenten wie Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Öle und Kräuter.
Was viele nicht wissen: Der Insektenproteinanteil vom Gesamtprotein liegt oft nur bei 20–30 %. Der Rest des Proteins stammt aus anderen Quellen – und hier beginnt das Problem.
Besonders bei Futtermittelallergien ist entscheidend, dass es sich um ein echtes Monoprotein-Futter handelt. Das heißt: Nur eine einzige tierische Proteinquelle, keine Beimischungen wie Hühnerfett, Fischöl oder Ei.
Viele Produkte deklarieren „tierisches Fett“ ohne Herkunftsangabe – ein Ausschlusskriterium für sensible Hunde.
Natürlich oder nur natürlich vermarktet? – Ein Blick auf die Biologie
Hunde sind fakultativ opportunistische Fleischfresser.
Sie jagen nicht zwingend, sondern nutzen das, was verfügbar ist – Aas, Müll, pflanzliche Reste und eben Insekten.
Studien zu wilden bzw. streunenden Hunden zeigen, dass bis zu ein Drittel ihres tierischen Proteins aus Insekten stammt. Ob gezielt gefressene Käfer oder Maden im Müll oder Kadaver – aufgenommen wird, was Energie liefert.
Das spricht für die biologische Plausibilität von Insektenprotein.
Aber: In freier Umgebung ist es Teil einer vielfältigen Ernährung, nicht deren alleinige Grundlage.
Die industrielle Monokultur von Insekten als Hauptproteinquelle ist ein Kompromiss – nicht das Ideal.
Ökologisch sinnvoll? – Nachhaltigkeit mit Fußnoten
Insekten benötigen wenig Wasser, Platz und Futter. Ihre Zucht verursacht weniger Treibhausgase als Rinder- oder Schweinehaltung.
Das klingt gut – und ist es auch, wenn man den ökologischen Fußabdruck betrachtet. Aber Nachhaltigkeit ist kein eindimensionales Konzept.
Die industrielle Insektenzucht wirft Fragen auf:
• Wie werden die Tiere gehalten?
• Welche Hygienemaßnahmen sind nötig?
• Welche Medikamente kommen zum Einsatz?
• Wie sieht es mit genetischer Vielfalt und Zuchtethik aus?
Nachhaltigkeit endet nicht bei der CO₂-Bilanz – sie beginnt bei der Verantwortung gegenüber Tier, Umwelt und Verbraucher.
Was sagt die Forschung? – Zwischen Akzeptanz und offenen Fragen
Studien zeigen, dass Insektenprotein gut verdaulich ist und von Hunden meist problemlos akzeptiert wird. Es kann die Nährstoffaufnahme verbessern und allergische Reaktionen sind selten – wenn es als Monoprotein eingesetzt wird.
Doch die Forschung steht am Anfang. Langzeitstudien zur Wirkung auf Stoffwechsel, Immunsystem oder Verhalten fehlen.
Auch zur Frage, ob Insekten Schmerzen empfinden und wie ihre Haltung ethisch zu bewerten ist, gibt es keine einheitliche Position. Die Wissenschaft hinkt dem Marketing hinterher.
Wann ist Insektenprotein geeignet – und wann nicht?
Geeignet ist es:
• Bei Futtermittelallergien – aber nur, wenn es als reines Monoprotein verwendet wird und keine tierischen Beimischungen wie Hühnerfett oder Ei enthalten sind
• Als ergänzende Proteinquelle in einer vielfältigen, bedarfsorientierten Fütterung
• In bestimmten pragmatischen Situationen, etwa bei begrenzter Verfügbarkeit anderer Proteinquellen – nicht aus ideologischen Gründen wie „Ressourcenverzicht“, die dem tierischen Bedarf nicht entsprechen
Weniger geeignet ist es:
• Als alleinige tierische Proteinquelle über Jahre hinweg
• Für Hunde mit hohem Energiebedarf, wenn der Proteingehalt nicht ausreicht
• Wenn die Entscheidung rein auf Trend oder Werbung basiert
Fazit: Kein Wurm drin, aber auch kein Wundermittel
Insektenprotein ist weder neu noch revolutionär.
Es ist verwertbar, ökologisch interessant und biologisch plausibel – aber kein Fortschritt per se. Wer es nutzt, sollte es bewusst tun: mit Blick auf Qualität, Herkunft und Bedarf des eigenen Hundes.
Denn was im Napf landet, sollte nicht nur gut gemeint sein – sondern auch gut gemacht.
Herzlich, kritisch, hundeverliebt – eure Petra Puderbach-Wiesmeth ..
Exkurs: Chitin im Insektenfutter – Wirkung auf Hunde?
Chitin ist ein strukturelles Polysaccharid, das vor allem in den Exoskeletten von Insekten, Krustentieren und Pilzen vorkommt. Im Kontext von Hundefutter auf Insektenbasis stellt sich die Frage: Hat Chitin eine physiologische Wirkung – und wenn ja, welche?
Was ist Chitin und wie wird es verarbeitet?
In der Tierernährung wird Chitin oft nicht isoliert eingesetzt, sondern als Bestandteil des Insektenmehls mitverfüttert.
In manchen Fällen wird es zu Chitosan verarbeitet – einem Derivat, das durch Deacetylierung entsteht und in der Humanmedizin sowie als Nahrungsergänzungsmittel bekannt ist.
Laut einer österreichischen Studie zur Verarbeitung von Hermetia illucens-Larven liegt der Chitingehalt vor dem Verpuppungsstadium bei etwa 2 % des Larvengewichts.
Einige Hersteller trennen Chitin gezielt ab, andere belassen es im Futter, je nach gewünschtem Effekt und technologischem Aufwand [Quelle: Herosan . eu, 2023].
Mögliche Wirkungen auf Hunde
Laut einer Analyse auf „darf-ich-mit . de“ und weiteren Quellen ergeben sich folgende potenzielle Effekte:
• Verdauungsförderung: Chitin wirkt als Ballaststoff und kann die Darmregulation unterstützen. Es fördert das Wachstum nützlicher Darmbakterien und kann Verstopfung vorbeugen.
• Entgiftung: Chitosan bindet Toxine und Schwermetalle im Verdauungstrakt und könnte zur natürlichen Entgiftung beitragen.
• Fettbindung: Chitosan kann Fette im Darm binden und so die Fettaufnahme reduzieren – relevant für übergewichtige Hunde.
• Gelenkgesundheit: Chitin enthält Glucosamin, das für Knorpelaufbau und Gelenkfunktion wichtig ist – besonders bei älteren Hunden.
Risiken und offene Fragen
• Allergien: Hunde mit Meeresfrüchteallergien könnten auf Chitin reagieren, insbesondere wenn es aus Krustentieren stammt.
• Verdauungsprobleme: Bei hoher Dosierung kann Chitin zu Blähungen oder Durchfall führen.
• Wechselwirkungen: Chitosan kann die Aufnahme fettlöslicher Vitamine (A, D, E & K) und Medikamente beeinträchtigen.
Fazit: Chitin ist kein Problem – aber auch kein Wundermittel
In üblichen Mengen scheint Chitin im Insektenfutter für gesunde Hunde unproblematisch zu sein. Es kann sogar positive Effekte haben, insbesondere auf die Verdauung.
Für sensible Tiere oder bei gezielter Diät sollte die Menge und Herkunft jedoch berücksichtigt werden.
Die Studienlage ist noch begrenzt, aber erste Ergebnisse deuten auf eine gute Verträglichkeit hin – solange das Futter insgesamt ausgewogen formuliert ist.
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Hinweis: Für eine fundierte Beurteilung der individuellen Ernährung eines Hundes ist Beratung durch eine Fachperson (Tierarzt/Ernährungsassistent Hund, Ernährungsberatung für Hunde) unerlässlich.
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Foto: Das Bild von meiner leider verstorbenen Dackelette Else ist mit Ki generiert, Petra Puderbach-Wiesmeth
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